Runhild Wirth hält Veränderungen, Abriss und Neubau, Ebbe und Flut, solid und liquid, Dauer und Vergänglichkeit, Sommerhitze, Winterkälte und Tageslicht fest. Immer wieder kehrt sie tagewerkweise zu den Gegenständen ihrer Betrachtung zurück. Zu diesen Gegenständen zählen Bauwerke, urbane Plätze, Filme und innerstädtische Flussläufe. Es entstehen gezeichnete und in Öl gemalte Serien von bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten. Diese Zeiten der Veränderung zerlegt sie in einzelne Momente. In Archiven sammelt sie die aneinander gereihten Eindrücke. Das Archiv als Möglichkeit des Aufbewahrens und des Zeigens schafft eigene Ordnungen, klärt die Eindrücke. Es entsteht ein Auffangbecken sich vertiefender Erfahrung. |
Susanne Altmann Runhild Wirth »Der Aggregatzustand des Archives ist die Bewegung, das Fließen.« Paolo Bianchi In Abwandlung des Statements "Schreiben ist Zeit" (Hanne Darboven), könnte Runhild Wirth behaupten: "Malen ist Zeit", und zwar genau in jenem konzeptuellen Gestus, der die Unfaßbarkeit des Phänomens Zeit in künstlerischer Arbeit dingfest machen will. Häufig werden dafür Quantitäten bemüht, und vielfach bildet für systematisch anhäufende Strategien die Form des Archivs ein Auffangbecken - als Depot oder als Zeigemodus. Oder als beides zugleich - so zumindest im Falle von Runhild Wirths Arbeiten. Im Unterschied zu den numerischen Dokumentationen von Darboven oder von on Kawara oder; mit Einschränkungen, von Roman Opalka nähert sich R.W. der Zeitlichkeit in der Analyse von Konservierung von Bewegungsabläufen, Ihr Medium ist dabei die Malerei und ihr Gegenstand der Film. Wie invasiv Klassiker der Filmgeschichte in Kunstfindungen der letzten 10 Jahre eingesickert sind, bedarf keines Extrabeweises. Die Malerin bevorzugt momentan den Bergfilm in Schwarzweiß, obwohl sie meint, jegliches bewegte Bild könnte als Quelle herhalten. In kurzen, regelmäßigen Abständen zückt sie ihre Kamera, um Aufnahmen vom Fernsehbildschirm zu schießen. Die Kontaktabzüge wiederholen nun die Geschichte von der "Weißen Hölle vom Piz Palü" in stummer, reduzierter Form. Später wird der Kontaktabzug dem Zeit- und Bewegungsarchiv als Index dienen. Auf diesen handlichen Bildminiaturen werden die starken grafischen und malerischen Qualitäten der Vorlagen offenbar. Schneeflächen bis hin zur Monochronie, unterbrochen von dunklen Partien aus Gehölz, unbeschneitem Fels und vor allem der käferartig krabbelnden Kette von Menschlein. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit; die Anlage eines Archivs aus gefrorener Bewegung und stehengebliebener Zeit. R.W. gibt sich lediglich fünf Minuten, um die einzelne Fotografie auf einen kaum mehr als postkartengroßen Bildträger zu reproduzieren. Das erinnert an Akkordarbeit und mißt dem Filmstil proportional genauso oder genausowenig Bedeutung zu, wie es als visueller Baustein des Ganzen besitzt. Bald, so plant die Künstlerin, wird sie sich den Zwischenschritt Fotografie ersparen und mit einem programmierten Timecode als Abstandhalter und Malzeitbestimmung direkt vom Bildschirm malen. Reziprok zu den Pionieren der Bewegungsanalyse und Kinematografie, Edward Muybridge oder Etienne Jules-Marey, die vormals die künstlische Synthese der Bewegung vorbereiteten, zerlegt R.W. derlei Abläufe wieder in ihre Bestandteile. Die Resultate lassen 120 Jahre technologischen Steigfluges fast vergessen: Sie öffnen den staunenden Blick ins Getriebe von Zeit und Bewegung. Mit diesen kinematografischen Bilderfolgen beschleunigt die Künstlerin ihre jahrelange serielle Methode ganz entschieden. Als sie einst an Elbe und Themse, quasi Monet-isierend, tägliche Eindrücke in einem Bildarchiv versammelte, waren die Vorgaben vergleichsweise langsam gewesen. Doch auch dort bereits unternahm sie den Versuch, Zeit qua Bild zu akkumulieren und archivierbar aufzubereiten. Die museale Hängepräsentation darf da im übrigen nur eine Untervariante sein - der Archivgedanke wäre empfindlich gestört - , und so darf es nicht wundern, wenn es konsequenterweise künftighin nur noch die Regale mit eingeschweißten Bildern zur temporären Entnahme gäbe. Susanne Altmann, Kunsthistorikerin/ Kuratorin in english |